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Sandra Albrecht

03 - Andy Warhol


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Kapitel 3:

Ist das Kunst? Keine Ahnung!

- Andy Warhols Umgang mit Medien.


Alias Hallodri Podcast Folge

 

Andys Kindheitserfahrungen waren die eines Außenseiters und Einzelgängers, doch sie trugen wahrscheinlich auch dazu bei, seine Fähigkeiten als scharfsinniger Beobachter zu entwickeln und ein tiefes Verständnis für menschliches Verhalten und soziale Dynamiken zu entwickeln. Hier könnte auch der Ursprung für seinen markanten Umgang mit den Medien aus, die ihn als Person des öffentlichen Lebens später auszeichnet.


Andy erkannte früh die Macht und den Einfluss von Massenmedien und nutzte diese Erkenntnisse, um seine eigene Person als Marke und Medienphänomen zu etablieren. Sein künstlerisches Werk und seine öffentliche Persona sind eng miteinander verknüpft, und seine Fähigkeit, sich selbst als Teil der Kunst zu inszenieren, zeugt von einer tiefen Auseinandersetzung der Medienwelt. Diese markanten Strategien, die er entwickelte, um sich in der Öffentlichkeit darzustellen, wurden zu einem zentralen Aspekt seiner Kunst und seines Lebensstils.


Der Interviewer weiß im Voraus, was er über dich schreiben will. Und was er von dir halten soll, weiß er auch schon, bevor er auch nur ein einziges Mal mit dir gesprochen hat. Er sucht also nur hier und da nach ein paar Worten und Details, die seine fertige Meinung noch bestätigen helfen. (...) Daher ist es besser, wenn du nur lächelst und sagst, dass du Rom magst, und er soll dann eben seine Begründung dafür liefern, warum du Rom magst.

- Andy Warhol


Die Erkenntnis der Machtlosigkeit kann sehr befreiend sein. Sobald wir begreifen, dass wir die Gedanken und Meinungen anderer Menschen nicht kontrollieren können, sondern nur unsere eigene Reaktion darauf beeinflussen, erleben wir eine Form von innerer Freiheit. 


Andys Umgang mit Medien und Interviews illustriert diese Erkenntnis auf beeindruckende Weise. Warhol zeigte oft eine bemerkenswerte Leichtigkeit, wenn es darum ging, Fragen und Kritik zu begegnen. Er ließ seine Interview-PartnerInnen oft ins Leere laufen oder reagierte mit scheinbarer Gleichgültigkeit. Diese Art der Kommunikation diente nicht nur als Schutzmechanismus, sondern auch als eine Art radikaler Spiegel, der den Medien und der Öffentlichkeit vor Augen führte, wie wenig substanzielle Auseinandersetzung manchmal tatsächlich stattfindet.


Sein Umgang mit Medien ließ die Frage aufkommen: Kann ein Interview Kunst sein?




Der Journalist lümmelt auf seinem Stuhl, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er dreht sich nervös hin und her, wie ein Schuljunge, nur in einem Anzug. Er raucht sogar während des Interviews. (Wir befinden uns in einer anderen Zeit, wo es noch Üblich war überall zu rauchen, aber es wirkt irgendwie komisch)


Andy sitzt regungslos wie eine seltsame Statue vor seinen Bildern, die dunkle Brille auf den Augen und die typische Geste mit der Hand vor dem Mund, die ihm ein nachdenkliches, unsicheres, fast puppenhaftes und entrücktes Aussehen verleiht.


Der Interviewer wendet sich an Andy: „Die Menschen bezeichnen Sie als den perfekten Pop-Art-Künstler, obwohl Sie angeblich keine Ahnung haben, was das wirklich bedeutet.“ Er konfrontiert ihn mit der Tatsache, dass Andy oft sagt, er wisse nicht, worum es in seiner Kunst gehe, und fordert ihn auf, seiner Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit nachzukommen und Klarheit zu schaffen – weil der Interviewer ihm seine Inszenierung nicht abkaufe. Andy antwortet: „Sie können mir einfach sagen, was ich antworten soll und ich wiederhole es dann, weil ich mich heute so leer fühle, ich kann über nichts nachdenken“.


 

Da drängt sich die Frage auf, welche Erwartungen wir als Gesellschaft an Künstler*innen stellen und warum jemand diese überhaupt erfüllen muss. Warum können wir nicht selbst Antworten finden? Bei der Frage: „Was ist Pop-Art?“, handelt es sich um eine Strömung, die viele Menschen mitbestimmen können und sollten – nicht nur eine einzige Person. Ist die Antwort „Ich weiß es nicht“ da nicht besonders intelligent? Oder die Frage: „Wie haben Sie angefangen, Filme zu machen?“, schreit doch nach dem Künstler-Mythos. Ich höre da sofort die Antwort: „Schon als kleines Kind habe ich mich für Filme interessiert!“ Doch was passiert, wenn ein Künstler da nicht mitspielt und schlicht „Ich habe keine Ahnung, wie das anfing“ antwortet? Was macht das mit uns? Sind wir enttäuscht?


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Diese Art des Gesprächsverlaufs erinnert mich an Sokrates, der sein Gegenüber nicht mit Antworten versorgte, sondern ihm half, eigenständig Schlüsse zu ziehen. War das vielleicht auch Andys Intention?


Wenn wir den aktuellen Umgang mit Personen des öffentlichen Lebens betrachten, erscheint es fast krankhaft, unter welchem Inszenierungsdruck diese Menschen stehen. In sozialen Medien hat sich dieser Druck inzwischen sogar auf die breite Masse ausgeweitet. Trauen wir uns, unsere Facetten preiszugeben, oder wiederholen wir vorsichtshalber nur das, von dem wir glauben, dass andere es sehen wollen?


Mich interessiert sehr, was passieren würde, wenn wir alle mehr die Interview-Attitüde von Andy Warhol ausleben würden.







Wie sähe unsere Kultur aus, wenn wir weniger Angst davor hätten, was andere über uns denken?

 

Die Kunstprofessorin und Warhol Expertin Reva Wolf schreibt in einem Vorwort für das Buch „I´ll be your mirror“ (Ich bin euer Spiegel) - Eine Auswahl von Andy Warhol Interviews, von Kenneth Goldsmith:


Kann ein Interview Kunst sein? Das ist eine der vielen Fragen, die Andy stellt. Warhol posierte für uns in den Hunderten von Interviews, an denen er teilnahm. Interviews, in denen er mal der Interviewte war, mal der Interviewer und manchmal auch beide Rollen gleichzeitig spielte. Er weigerte sich auf die klügste vorstellbare Weise, Interview-Fragen ernst zu nehmen.


Je weniger ernst seine Antworten waren, umso relevanter wurden die Ideen,

die er der Nachwelt zur Sortierung hinterließ.




 
Quellen:
  1. Warhol, Andy: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main, 2009. S. 155 f.
  2. Goldsmith Kenneth: I‘ll be your mirror : the selected Andy Warhol interviews : 1962-1987. Wolf, Reva: Introduction through the Looking-Glass. Carroll & Graf. New York, 2004.
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