Foto von _ Whittington. @ Pexels
Kapitel 2
Fleck, Drehungen und der amerikanische Traum -
Die Kindheit von Andrew Warhola
Alias Hallodri Podcast Folge
Als Andrej Warhola 1912 in die Stahlstadt Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania im Osten der USA auswanderte, hoffte er auf ein besseres Leben. Seine Frau Julia musste noch ganze neun Jahre in ihrem Heimatdorf Miková im Nordosten der heutigen Slowakei (damals Königreich Ungarn) warten, bis sie 1921 nach Pittsburgh nachfolgen konnte. Bald darauf bekam die kleine Familie Nachwuchs: 1922 wurde Paul geboren, 1925 folgte John und 1928 kam das Nesthäkchen Andrew zur Welt.
Hatten die Eltern damals eine Ahnung, dass ihr jüngster Sohn einer der wenigen Menschen sein würde, die den sogenannten „American Dream“ tatsächlich erleben würden? Dass die Familie unglaublich reich werden würde, nicht durch harte körperliche Arbeit wie der Vater als Kohle- oder Montagearbeiter einer Baufirma, sondern durch ein feines Gespür, Menschen und die amerikanische Kultur zu reflektieren und Kunst zu erschaffen, die ins kollektive Gedächtnis eingehen würde? Symbolisch für den Wandel von einer ärmlichen Arbeiterfamilie zu einer Familie, die einen weltberühmten amerikanischen Künstler hervorbrachte, änderte sich der Name Andrew Warhola, weil die Menschen das „a“ immer versehentlich wegließen, in: Andy Warhol.
Der kleine Andy hatte es nicht leicht in der Schule. Seine Mitschüler verspotteten ihn und nannten ihn „Fleck“. Aufgrund einer Pigmentstörung war seine Haut fahl und fleckig, weshalb lange angenommen wurde, er sei ein Albino.
Sein gesamtes weiteres Leben würde er unzufrieden mit seinem Aussehen sein, welches er radikal benennt und auch in Szene setzt, möglicherweise um einem erneuten Mobbing entgegenzuwirken.
Denn „Wenn jemand allgemein nicht als schön gilt, kann er trotzdem großen Erfolg haben, sofern er ein paar Witze auf Lager hat. Und viele Taschen“, meinte Andy.
The young Andrew Warhola, 1933 (Photo credit: Courtesy of the Warhola Family)
So beschreibt Andy Warhol später sein Erscheinungsbild:
„Das temperamentlose Wesen, die kränkliche Blässe. [...] Die richtige Portion Ausgeflipptheit, das passive Staunen, das grandiose Über-den-Dingen-stehen. Die gespielte Freude, die verräterische Körpersprache, Die kreideweise Gnomenmaske, der leicht slawische Einschlag [...].
Die kindische, Kaugummi kauende Naivität, der ganze aufgeblasene Zauber, der aus der Verzweiflung kommt, die überhebliche Gleichgültigkeit, die perfektionierte Andersartigkeit, die paar Haarbüschel, die zwielichtige, voyeuristische, etwas düstere Aura, die Bleiche, leise sprechende magische Erscheinung, Haut und Knochen [...]
Die albinoweiße Haut. Pergamentartig. Reptilhaft. Fast blau. Die knochigen Knie. Narben wie eine Straßenkarte. Die langen knochigen Arme, so weiß, als seien sie gebleicht. Die abwehrenden Hände. Die kleinen Augen. Segelohren. Die farblosen Lippen. Die ausgefransten, weichen, metallischen, silberweißen Haare.“
Quelle 2
„Schönheit hat tatsächlich etwas damit zu tun, wie sie präsentiert wird. Wenn Schönheit auffällt, hat das auch immer etwas mit der Umgebung zu tun oder damit, was jemand trägt, neben wem oder was jemand steht oder aus welcher Tür jemand gerade die Treppe herunterkommt“, schreibt Andy Warhol.
Quelle 3
Doch nicht nur sein Aussehen bot den Kindern in seiner Klasse Anlass zur Hänselei. Bei ihm wurde auch die Krankheit Chorea Minor diagnostiziert, im Volksmund als Veitstanz oder Tanzkrankheit bekannt. Der Name „Veitstanz“ stammt von dem heiligen Veit, dem Schutzpatron der Tänzer in der römisch-katholischen Kirche ab.
Diese Krankheit verursacht Bewegungsstörungen mit raschen, unkontrollierten und drehenden Bewegungen (Chorea). Während der Schlaf die Symptome vorübergehend lindert, verschlimmern sich die Bewegungsstörungen bei Müdigkeit und Stress.
Leicht betroffene PatientInnen von Chorea Minor haben oft mit Unruhe, Problemen beim Schreiben, Grimassieren oder leichten Koordinationsproblemen zu kämpfen, die als Verhaltensstörung interpretiert werden können. In schweren Fällen wird es für die Betroffenen schwierig, ihrem Alltag nachzugehen.
Heute ist Chorea Minor weniger bekannt, da die Krankheit aufgrund von Antibiotika besser behandelbar ist. Sie tritt häufig nach einer Scharlach-Erkrankung oder einer Infektion im Mandel- oder Rachenraum bei Kindern im Alter von 5 bis 18 Jahren auf. In den meisten Fällen bildet sich die Krankheit innerhalb weniger Monate bis zwei Jahre vollständig zurück, wobei nur selten bleibende Schäden zurückbleiben.
Quelle 4
Aufgrund seiner Krankheit, blieb Andy lange Zeit zu Hause, was sich im Nachhinein als bedeutend für seine künstlerische Entwicklung erwies.
Er verbrachte viel Zeit mit seiner Mutter Julia, zu der er sein ganzes Leben über eine enge Bindung hatte. Julia war künstlerisch begabt und zeichnete oft mit Andy. Nebenbei hörte er Radio, sammelte Fotos von Filmstars, las Comics und ging samstags ins Kino.
Diese Hobbys erscheinen fast humoristisch plakativ, wenn wir bedenken, dass er sich intensiv mit Themen wie Zeichnungen, Massenmedien, Stars und Comics in seinen Kunstwerken auseinandersetzte.
Julia Warhola with John Warhola (left) and Andrew Warhola (right) (1931)
Wie bereits erwähnt, prägt die Kindheit unser Erwachsenenleben maßgeblich. Andy Warhol verdeutlicht eindrucksvoll, wie entscheidend es ist, als Kind die Freiheit zu haben, sich seinen Interessen und Leidenschaften zu widmen. Durch die Zeit, die er mit seinen Hobbys und seiner Mutter verbracht hat, konnte er seine kreativen Neigungen entwickeln und verfeinern. Diese frühe Entfaltung seiner Interessen trug wesentlich zu seinem späteren Erfolg als Künstler bei.
Als ich klein war und so oft krank, waren diese Krankheitszeiten äußerlich Unterbrechungen und innerlich ein zu mir finden.
Quelle 5
Die Familie Warhola erlebte einen schweren Schicksalsschlag, als André Warhola, Andys Vater, 1942 nach einer mehrjährigen Krankheit an Tuberkulose verstarb. Gemäß der religiösen Tradition der Familie wurde der Leichnam drei Tage lang zur Totenwache im Elternhaus aufgebahrt, was den 14-jährigen Andy tief verstörte. Diese frühe und prägnante Konfrontation mit dem Tod könnte eine Erklärung dafür sein, warum Warhol in seinen späteren Werken immer wieder intensiv mit dem Thema Tod und Vergänglichkeit auseinandersetzte.
Nach dem Tod des Vaters geriet die Familie in Schwierigkeiten, da sie bereits in bescheidenen Verhältnissen lebte. Der älteste Sohn, Paul, war zu dieser Zeit in der amerikanischen Armee, und Andys Bruder John musste die Vaterrolle für seinen übernehmen.
Besonders bemerkenswert ist, dass auch sein Bruder Andy in seinem künstlerischen Werdegang zu fördern beginnt, indem er ihn finanziell unterstützte, um ihm eine Ausbildung zu ermöglichen. Andy Warhol studierte Gebrauchsgrafik am Carnegie Institute of Technology, das heute als Carnegie Mellon University bekannt ist, in Pittsburgh.
Quelle 6
Quellen:
Warhol, Andy: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main, 2009.
Warhol, Andy: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main, 2009. S. 17 f.
Warhol, Andy: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main, 2009. S. 66.
https://deximed.de/home/klinische-themen/neurologie/patienteninformationen/bewegungsstoerungen/chorea-minor#behandlung
Warhol, Andy: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main, 2009. S. 113.
https://artinwords.de/andy-warhol-biografie/