top of page
Sandra Albrecht

01 - Andy Warhol


Christie's Auktion 195 Dollar Andy Warhol Shot Sage Blue Marilyn

KAPITEL 1 - DIE NEUE


Alias Hallodri Podcast Folge 04.

 

Wir befinden uns in einem eher dunkel ausgeleuchteten Saal in New York. Indirektes Licht und Wandbildschirme tauchen die Szenerie in ein geheimnisvolles Licht. Rund 100 Menschen sitzen vor oder im Halbkreis um das weiße Pult, hinter dem Jussi Pylkkänen, der damalige Präsident des weltberühmten Auktionshauses Christie’s, steht und die Auktion, die danach Schlagzeilen schreiben wird, leitet. Ruhig und sehr bestimmt beginnt er: „Eines der ikonischsten Bilder des 20. Jahrhunderts.“ Wo sollen wir anfangen? 100 Millionen. Das Publikum beginnt unsicher zu lachen, ein so hohes Einstiegsgebot ist unüblich.


Doch keine Zeit zum Schmunzeln, da sich die Angebote bereits überschlagen: 110 Millionen, 120 Millionen, 160 Millionen. Nach nur 4 Minuten schlägt Pylkkänen den Hammer auf das weiße Pult. Am 10.05.2022 erreichte das Bild mit allen Aufgeldern einen Preis von 195 Millionen Dollar (ca. 185 Millionen Euro) und wurde dadurch zum zweitteuersten Kunstwerk, das jemals versteigert wurde. Es handelt sich um Andy Warhols „Shot Sage Blue Marilyn“ von 1964. (Platz 1: Leonardo da Vinci „Salvator Mundi“ für 450 Millionen Dollar.)



Viele werden danach behaupten, Andy hätte sich köstlich über den stolzen Preis amüsiert, wenn er noch am Leben gewesen wäre. Wir wissen es nicht. Fest steht, dass Warhol und seine Kunst bis heute polarisiert. Die Menschen sind entweder fasziniert oder fühlen sich extrem verarscht.


Andy Warhol Shot Sage Blue Marylin Siebdruck

Das Bild ist im Siebdruckverfahren angefertigt und stammt aus einer Serie von mehreren Marilyn-Drucken, die er immer wieder wiederholte und in ihrer Farbigkeit variierte. Die Vorlage für den Siebdruck ist eine Werbefotografie für den Film Niagara, in dem sie mitspielte. Er gilt als erster Film, in dem sie beweisen konnte, dass mehr als ein „naives Blondchen“ in ihr steckte. 


ANdy Warhol Marilyn Fotografie Sage blue Niagara

Trotzdem zeigt das Foto die weltbekannte Schauspielerin und Pop-Ikone Marilyn Monroe mit ihrem berühmten Schlafzimmerblick, leicht geöffneten Lippen und einem tief ausgeschnittenen schwarzen Kleid. Die perfekte Inszenierung für ihr Sexsymbol-Image. Warhol soll das Bild kurz nach ihrem mysteriösen Tod 1962 erworben haben, um es für seine vielen Marilyn-Siebdrucke zu verwenden.


Dabei wählte er einen passbildartigen Ausschnitt, der Marilyns Gesicht nah an die Betrachter heranholt. Die Serie ist eines seiner berühmtesten Motive und ist bereits in das kollektive Gedächtnis der Menschen eingegangen. Wer eine Warhol-Marilyn noch nicht im Museum bewundern konnte, kennt das Bild von Kaffeetassen, Shirts oder Posterdrucken – wie das mit wirklich großer Kunst häufiger passiert.



andy warhol sage blue marilyn

Das Siebdruckverfahren funktioniert mithilfe angefertigter Schablonen, durch die jeweils eine Farbschicht auf ein Medium wie Leinwand, Papier, Stoff, Glas usw. übertragen werden kann.


Diese Technik wird bis heute in großen Druckereien für hohe Auflagen und besondere Qualität eingesetzt, aber auch von KünstlerInnen und Privatpersonen verwendet.


Insgesamt wurden sechs Siebe verwendet: Rosa für die Gesichtsfarbe, Weiß für die Zähne, Salbeiblau für den Hintergrund, den Lidschatten sowie die Augenfarbe, Rot für die Lippen und abschließend Schwarz für die Schatten und Konturen.


Die „Shot Marilyns“ sind vier besondere Drucke, die unter den anderen herausragen. Der Grund dafür ist eine kuriose und mythenhafte Geschichte: In Warhols Studio, The Factory, hielten sich immer viele Menschen auf, die ihm oft bei der Produktion halfen, Teil seiner Kunst wurden (indem er sie beispielsweise filmte), manchmal durch ihn Berühmtheit erlangten oder einfach nur herumlungerten. Darunter befand sich auch die Performancekünstlerin Dorothy Podber.


Über Podbers Arbeit ist nicht viel bekannt, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass die Kunstform Performance etwas Vergängliches ist. Sie überredete beispielsweise arglose Leute, sie in ihre Wohnungen einzuladen, wo sie beispielsweise die Duschszene aus Alfred Hitchcocks Psychothriller Psycho nachstellte.


foto schießen frau blauer himmel kamera

Angeblich bat sie Warhol darum, ob sie die Marilyns „schießen“ könne. Warhol nahm an, sie wolle ein Foto von den etwa 1 Meter großen Bildern, die an der Wand lehnten, machen.


Stattdessen zog sie knallhart eine echte Waffe und schoss buchstäblich auf die vier Bilder. Angeblich hat Warhol die Leinwände selbst wieder repariert, weshalb die Einschussstellen nicht sichtbar sind. Doch durch diese Geschichte wurden die vier „Shot Marilyns“ zu herausragenden Einzelstücken.


to take a shot at ... Schießen

to take a shot of ... Fotografieren

Foto von Ike louie Natividad. Pexels





 

Kannst du dir vorstellen, warum Warhols Kunst viele Menschen provoziert?


Er verwendete eine Technik, die eine einfache Möglichkeit der Vervielfältigung bietet und die fast alle mit ein wenig Hintergrundwissen kopieren könnten. Das Werk wurde öfter mit Abweichungen reproduziert. Das Motiv basiert auf einer abgewandelten Fotografie der wohl berühmtesten und begehrtesten Frau der Welt. Die „Shot Marilyn“-Reihe erlangte ihre Besonderheit streng genommen durch die Hand einer anderen Künstlerin, Dorothy Podber.

Und dennoch ist es nach Leonardo da Vincis „Salvator Mundi“ das zweitteuerste bei einer Auktion ersteigerte Kunstwerk der Welt. Um die Absurdität noch ein wenig zu verdeutlichen:


Leonardo da Vinci Statue universal künstler

Leonardo da Vinci (um 1500) war das Universalgenie schlechthin – der Maler der Mona Lisa und des sagenumwobenen letzten Abendmahls. Einer der besten meisterlichen Maler in der Weltgeschichte, der so viele andere wichtige Dinge im Kopf hatte, dass er nur sehr wenige Bilder fertigstellte. Wir sprechen von etwa 20 Bildern!


Die Rarität, das übertriebene handwerkliche Können und das unbegreifliche Universalgenie – eigentlich das komplette Gegenteil von Andy Warhol. Klar, das Bild „Salvator Mundi“ ging für 450 Millionen Dollar über den Auktionstisch, was eine andere Dimension darstellt. Christie’s bewarb die Marilyn aber selbstbewusst als die neue Mona Lisa, was vielen Sachkundigen sauer aufstieß.












 
Quellen:
bottom of page