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Sandra Albrecht

05 - Andy Warhol


Jasper Johns: Flag (Moratorium), 1969


Kapitel 5:

Pop-Art liegt in der Luft.


Alias Hallodri Podcast Folge

 

Andy möchte sich also künstlerisch verändern. In Dokumentationen wird oft sein erheblicher Einfluss auf die weitere Entwicklung der Kultur überschwänglich herausgehoben. Ohne Andy keine Pop-Art!  Doch diese Aussage ist mit Vorsicht zu genießen.


Klar, er hatte einen großen Einfluss und prägt bis heute unsere Kultur, aber Ideen und Kunstepochen kommen nicht aus dem Nichts. Wie bereits bei meiner Kunstdefinition erwähnt, ist Kunst mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und dem Zeitgeist verstrickt. Wenn du eine Kunstströmung verstehen willst, musst du dir immer die Strömung, die davor den Ton angab, anschauen, da diese sich meistens voneinander abgrenzen. 


Was war also los in New York in den 50er Jahren und warum musste Veränderung her?


Die Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges hinterließen tiefe Spuren, auch in der Welt der Kunst. Ein Neubeginn musste gefunden werden, und das ist, wie du dir vorstellen kannst, nicht so einfach gewesen nach so viel Gewalt und Zerstörung. Ein Gefühl der Schwere lag in der Luft, ein erdrückendes Gefühl, als würde die Welt zu Ende gehen.


Auch die Malerei hatte ihren Zauber, ihre Bedeutung verloren. Wie sollte es noch möglich sein, in dieser düsteren Stimmung Blumen, Landschaften, Tiere, Figuren oder Menschen abzubilden? Trotzdem verschwand die Kunst nicht, da die KünstlerInnen eine Sprache fanden, um ihre Sprachlosigkeit Ausdruck zu verleihen: die Weltsprache der Abstraktion. 

Quelle 1

Die künstlerische Ära des Abstrakten Expressionismus begann. Die Nachkriegskünstler erschufen abstrakte Bildwelten, losgelöst von der traditionellen Abbildfunktion, weil sie keine neuen Werte, keine neuen Utopien erschaffen konnten – verständlich nach Jahren, in denen Kunst als Propagandamittel eingesetzt wurde.


Einer der berühmtesten und wichtigsten amerikanischen Vertreter war Jackson Pollock.


Jackson Pollock bei der Arbeit.   action painting abstrakter Expressionismus

Sie sollten versuchen aufzunehmen, was das Bild ihnen anzubieten hat und nicht einen Hauptinhalt und eine vorgefasste Meinung mitbringen, nach deren Bestätigung sie suchen.

- Jackson Pollock

Quelle 2

Pollock bricht mit der Tradition der alten Meister: Seine Leinwände lagen oft ausgebreitet auf dem Boden und lässt die Farbe von dicken Pinseln tropfen. Er spritzt, schwingt, schleudert oder wischt. Kritiker bezeichneten seine Arbeit als Aktionsmalerei, also eine Vermischung von Malerei und Performance-Kunst. Herauskamen ausdrucksstarke, aufgewühlte großformatige Bilder, die durch kontrollierter Aktion und durch Zufall entstanden sind. Durch das Fehlen einer Gewichtskomposition oder Harmonie wird die reine Fläche betont.


 

Als Andy nach 1950 nach New York zog, bestimmte die Abstraktion das aktuelle Kunstgeschehen. Doch langsam begann sich der Wind zu drehen. Die abstrakte Malerei wurde immer konkreter, und Künstler wie Barnett Newman arbeiteten mit klar abgegrenzten farbigen Flächen, experimentierten mit ihnen als physikalische Phänomene und testeten ihre Wirkung und unsere Farbwahrnehmung. Die Bilder wirkten weniger emotional und wurden zunehmend plakativer.


Barnett Newman, Who's Afraid of Red, Yellow and Blue IV. 1969-70
Barnett Newman, Who's Afraid of Red, Yellow and Blue IV. 1969-70 https://freunde-der-nationalgalerie.de/erwerbungen/barnett-newman/
(Unten) Robert Rauschenberg. Retroactive I. 1964Retroactive I. 1964 https://www.moma.org/audio/playlist/40#tour-stop-653

Robert Rauschenberg. Retroactive I. 1964Retroactive I. 1964

Und dann kam die Pop-Art wie ein Schlag: Nach der abstrakten Malerei, die die Dingwelt verbannte, holten die Künstler Ende der 50er Jahre die Dinge mit einer solchen Radikalität zurück, dass es uns bis heute beschäftigt.


Der Künstler Jasper Johns malte beispielsweise mehrmals die amerikanische Flagge. Robert Rauschenberg arbeitete collagenartig mit einer Fotografie von Kennedy.


Und dann natürlich Roy Lichtenstein, der Comics vergrößerte und perfekte Punktraster malte.


Andy bewunderte Jasper Johns und Robert Rauschenberg und verabscheute den Abstrakten Expressionismus. Er wollte Teil einer Bewegung werden, die bereits begonnen hatte.


Die Idee der Pop-Art lag buchstäblich in der Luft und die Kunstszene spiegelte den Zeitgeist wider, der nach der ersten Schockwelle des Zweiten Weltkriegs in ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum überging.


Die sogenannten „Goldenen Jahre“ bis etwa 1967 standen ganz im Zeichen der Massenproduktion, Arbeitsorganisation, Massenkonsum und Massennachfrage. US-Großunternehmen der Energie- und Grundstoff-, Konsumgüter-, Auto- und Maschinenbauindustrie sowie der Luftfahrt waren international dominierend.


Durch die erfolgreiche Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft entwickelte sich eine „satte Zufriedenheit“ und eine kontinuierliche Steigerung des materiellen Lebensstandards, von dem jedoch nicht alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen profitierten. Besonders die schwarze Bevölkerung war nach wie vor benachteiligt. Die allgemein hohe Beschäftigungsquote schuf jedoch eine große Kaufkraft und förderte somit das wirtschaftliche Wachstum. 


Roy Lichtenstein (1967) vor seinem Gemälde Whaam!
Roy Lichtenstein (1967) vor seinem Gemälde Whaam!

Künstler, die Pop-Art kreierten, spiegelten also den radikalen Wandel und den Umschwung in eine Massen-, Konsum- und Kapitalismus-Gesellschaft wider, in der wir uns heute befinden.


Die Künstler zitierten die Bilder der populären Massenkultur, der Boulevardpresse, der Werbung, der trivialen Magazine, des Kinos und der Produktgestaltung. Der Konkurrenz der Bildmedien, die den Alltag durchdrangen und bald auch zu beherrschen begannen, begegneten die Künstler, indem sie die medialen Bilderfluten kurzerhand in ihre eigenen Arbeiten integrierten. Die entstandenen Werke waren keine selbst erdachten Kunstwelten mehr, sondern Bilder nach Bildern.



Roy Lichtenstein, M-Maybe, 1965, Museum Ludwig Köln

Andy Warhol, Superman, from Myths, (1928-1987)
Roy Lichtenstein, M-Maybe, 1965, Museum Ludwig Köln und Andy Warhol, Superman, from Myths, (1928-1987)

Als Andy mit der Pop-Art begann, vergrößerte er Comics. Doch bald bemerkte er, dass Roy Lichtenstein unabhängig dasselbe tat. Da Andy schnell merkte, dass Lichtenstein mit der Comic-Idee weiter war, begann er, Markenzeichen und Werbeanzeigen zu vergrößern. Hier zeigt sich ein weiteres Merkmal, das einen Künstler ausmacht: Zähheit. Andy suchte sich ein anderes Thema und gab nicht auf, nachdem seine ursprüngliche Idee bereits von jemand anderem umgesetzt worden war. 


Wichtig ist vor allem zu erkennen, dass es sich um einen Zeitgeist handelt und Andy im richtigen Moment gute Entscheidungen getroffen hat. Dieselbe Kunst ein paar Jahre früher wäre einfach nicht möglich gewesen. Einer Massen- und Konsumgesellschaft eine Massen- und Konsumkunst vorzulegen, ist so einfach wie genial – und macht einen zu Recht auch ein wenig sauer.


Aber bitteschön, nicht nur auf Andy Warhol, sondern vor allem auf eine Gesellschaft, die lieber ein Kunstwerk mit einem Star oder einer Comicfigur darauf kauft, als ein lang durchdachtes und komponiertes Werk von jemand Unbekanntem. Und dann dürfen wir es auch wieder cool und skurril finden. Keine Frage:)



Aber warum ist Andy so berühmt?


Ich glaube, dass Andy Warhol aus der Pop-Art-Szene so heraussticht, weil er überhaupt keine Grenzen kannte, wo Kunst anfängt und wo sie aufhört. Allein sein gesamtes Auftreten wirkt wie eine einzige Kunstinszenierung, und das macht es so interessant, sich mit ihm auseinanderzusetzen.


Zudem hatte er ein Händchen für Marketing und, sagen wir es mal ehrlich, eine Art Showmaster-Qualität. Ein seltsamer, aber großartiger Humor, der unterhaltsam ist. Wir haben ja bereits darüber gesprochen, ob Interviews Kunst sein können.


Der Mensch fühlt sich zu jemandem hingezogen, der auf so skurrile Weise erfolgreich und humorvoll durchs Leben geht und eine Anhängerschaft an berühmten Leuten hat. Das allein steigert die Faszination und den Wert der Kunst. Bis heute, auch ich in diesem Moment, haben wir ein riesiges Sammelsurium an Warhol-Kunst, Zeichnungen, Filmen, Fotografien, Interviews, Aussagen usw., das einen fast erschlägt, aber trotzdem manisch dazu verleitet, weiter in sein Universum eintreten zu wollen.


Da Andy dieses phänomenale Gesamtpaket ist, überstrahlt er leicht andere Pop-Art-Künstler und wird deshalb so hervorgehoben. Und vielleicht auch ein wenig, weil Menschen einfach Stars lieben und sich gerne welche kreieren.






 
Quellen:
  1. Krauße, Anna-Carola: Geschichte der Malerei. Von der Renaissance bis Heute. Tandem Verlag. 2005. S. 108 f
  2. Krauße, Anna-Carola: Geschichte der Malerei. Von der Renaissance bis Heute. Tandem Verlag. 2005. S. 108 f
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